Vorlage - 2016/252
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Anlage/n:
- Wahleinspruch, eingegangen am 23.09.2016
- Schreiben von Martin Gödecke vom 04.10.2016
- Vollmacht der Wählergruppe „DIE UNABHÄNGIGEN“ vom 09.10.2016
Anlagen: | |||||
Nr. | Name | ||||
1 | Anlage 1 Wahleinspruch (54 KB) | ||||
2 | Anlage 2 Schreiben von Martin Gödecke (43 KB) | ||||
3 | Anlage 3 Vollmacht Wählergruppe (59 KB) |
Sachlage:
Mit dem aus der Anlage 1 ersichtlichen Schreiben hat die Wählergruppe „DIE UNABHÄNGIGEN“ einen Wahleinspruch erhoben. Ergänzende Informationen wurden nachgereicht, die als Anlagen 2 und 3 bei-gefügt sind. Der Wahleinspruch richtet sich gegen die Gültigkeit der Kreiswahl, soweit Brigitte Mertz im Wahlbereich 4 (Samtgemeinden Amelinghausen, Ilmenau, Ostheide) im Wege der Personenwahl ein Kreistagsmandat errungen hat.
Die Durchführung des Wahlprüfungsverfahren richtet sich nach §§ 46 – 49 Niedersächsisches Kommunalwahlgesetz (NKWG). Wird die Wahl in diesem Verfahren für ungültig erklärt, so ist sie gem.§ 42 NKWG und § 71 Niedersächsische Kommunalwahlordnung (NKWO) in dem betreffenden Umfang zu wiederholen.
In diesem Fall wird der Kreistag als Wahlprüfungsorgan tätig. Damit entfällt die sonst übliche Vorbereitung durch den Kreisausschuss.
Der Wahleinspruch ist zulässig, da er
- von einer einspruchsberechtigten Person oder Organisation
- bei der zuständigen Wahlleitung
- schriftlich
- innerhalb von 2 Wochen nach der Bekanntmachung
- mit einer Begründung
eingereicht wurde.
Als weitere formelle Regelungen für die Entscheidung über den Wahleinspruch müssen beachtet werden:
- Zuständig ist die neu gewählte Vertretung, in diesem Fall der neue Kreistag.
- Er verhandelt und beschließt in öffentlicher Sitzung.
- Auf Antrag sind die Beteiligten in der Verhandlung zu hören.
- Beteiligte dürfen nicht an der Beschlussfassung mitwirken.
Dabei muss die Voraussetzung der Nr. 1 besonders betrachtet werden. Der Wahleinspruch, der am 23.09.2016 bei der Wahlleitung eingegangen ist (Anlage 1), wurde zunächst im Namen der Fraktion „DIE UNABHÄNGIGEN“ durch den Fraktionsvorsitzenden Martin Gödecke erhoben. Eine Fraktion gehört jedoch nicht zum Kreis der Einspruchsberechtigten. Allerdings könnte eine Partei oder Wählergruppe, die für die betreffende Wahl einen Wahlvorschlag eingereicht hat, einen Wahleinspruch einlegen. Mit Schreiben vom 04.10.2016 (Anlage 2) hat Herr Gödecke klar gestellt, dass der Wahleinspruch im Namen der Wählergruppe erhoben wurde. Mit Schreiben vom 09.10.2016 (Anlage 3) hat der Vorstand der Wählergruppe eine Vollmacht erteilt. Danach gehören Wolfgang Gaußmann und Stefan Koch dem Vorstand an. Unterlagen darüber, wer dem Vorstand angehört und ob die Wählergruppe überhaupt über einen Vorstand verfügt (Satzung, Beschluss der Mitgliederversammlung), sind nicht vorgelegt worden. Allerdings ist Herr Gaußmann bereits bei der Vorlage der Wahlvorschläge als Vertrauensperson benannt worden. Eine gewisse Legitimation ist ihm also nicht abzusprechen. Wählergruppen sind berechtigt, Wahlvorschläge einzureichen. Sie werden als „Gruppe von Wahlberechtigten“ definiert. Gesetzliche Vorgaben bestehen – anders als für Parteien – nicht, so dass keine besonderen Anforderungen an die Gründung, die Organisationsform, die innere Struktur und die Größe gestellt werden. Wählergruppen müssen somit nicht in einem organisatorisch verfestigten Rahmen auftreten, mitgliedschaftlich organisiert oder durch Satzung verbunden sein. Eine Wählergruppe kann daher auch ein eher loser Zusammenschluss von Wahlberechtigten sein. Um hier keine unangemessen hohen Hürden aufzubauen, empfiehlt die Kreiswahlleitung, die Eingabe von Herrn Gödecke als Wahleinspruch der Wählergruppe zuzulassen.
Es bestehen keine Zweifel, dass die Voraussetzungen Nrn. 2 – 5 eingehalten wurden. Daher wird darauf nicht näher eingegangen. Der Wahleinspruch ist damit formell rechtmäßig.
Zu den Voraussetzungen Nrn. 8 und 9 wird noch dargelegt, wer am Verfahren beteiligt ist; das sind
- die Wahlleitung,
- die Person, die den Wahleinspruch erhoben hat, und
- die Personen, gegen deren Wahl der Wahleinspruch unmittelbar gerichtet ist.
In diesem Fall sind also Beteiligte die Kreiswahlleitung, die Wählergruppe „DIE UNABHÄNGIGEN“ und die Kreistagsabgeordnete Brigitte Mertz.
Auf Antrag sind Beteiligte in der Verhandlung zu hören (Nr. 8). Einen entsprechenden Antrag könnten Herr Gödecke als Vertreter der Wählergruppe und Frau Mertz stellen.
Eine beteiligte Abgeordnete und ein beteiligter Abgeordneter dürfen an der Beratung und Beschluss-fassung nicht teilnehmen (Nr. 9). Beteiligt ist die Wählergruppe, nicht jedoch die aufgrund eines Wahl-vorschlags dieser Wählergruppe gewählten Abgeordneten Martin Gödecke und Stefan Mues, die somit an der Beschlussfassung mitwirken dürfen. Frau Mertz darf als Beteiligte nicht an Beratung und Abstimmung teilnehmen.
Der Wahleinspruch wäre begründet, wenn
- die Wahl nicht entsprechend dem NKWG oder der NKWO vorbereitet oder durchgeführt oder das Ergebnis in unzulässiger Weise beeinflusst wurde und
- bei einwandfreier Durchführung der Wahl ein wesentlich anderes Wahlergebnis zustande gekommen wäre.
Der Wahleinspruch wird im Wesentlichen damit begründet, dass Frau Mertz anlässlich Ihrer Bewerbung für den Kreistag die nach Auffassung der einspruchsführenden Wählergruppe unzutreffende Berufsbezeichnung „wissenschaftliche Mitarbeiterin“ angegeben habe und dadurch das Wahlergebnis in unzulässiger Weise beeinflusst wurde.
Vorschriften, dass sich die Wahlleitung Nachweise über die angegebenen Berufe oder Qualifikationen vorlegen lassen muss, gibt es nicht. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung über die Angabe der personenbezogenen Daten einschließlich der Berufsangabe ist es, die Identität des oder der Wahlbewerberin möglichst genau zu bestimmen. Hieraus folgt jedoch keine Verpflichtung der Kreiswahlorgane, die Angaben zum Beruf inhaltlich genau zu überprüfen. Diese Prüfung wäre sehr aufwändig und im Er-gebnis auch gar nicht zu realisieren, um eine reibungslose und fristgerechte Wahlvorbereitung zu gewährleisten.
Bezogen auf den vorliegenden Sachverhalt wäre der Wahleinspruch dann begründet, wenn
- Frau Mertz die Berufsbezeichnung „wissenschaftliche Mitarbeiterin“ tatsächlich nicht führen darf und
- dadurch das Wahlergebnis in unzulässiger Weise beeinflusst wurde und
- Frau Mertz bei Angabe der korrekten Berufsbezeichnung kein Kreistagsmandat erhalten hätte.
Dabei müssten alle drei Voraussetzungen nebeneinander vorliegen. Die Vorprüfung durch die Kreiswahlleitung führte hier zu dem Ergebnis, dass der Wahleinspruch jedenfalls unbegründet ist.
zu 1. Frau Mertz ist Mitarbeiterin im Wahlkreisbüro der Landtagsabgeordneten Andrea Schröder-Ehlers. Der Begriff „wissenschaftliche Mitarbeiterin“ ist im Gegensatz zur Auffassung der einspruchsführenden Wählergruppe als Berufsbezeichnung nicht geschützt. Es gibt keine berufs-ständige Regelung, die diese Bezeichnung definiert. Auch aus dem Niedersächsischem Hoch-schulgesetz (NHG) folgt dies nicht. Tatsächlich wird der Begriff in § 31 Abs. 1 NHG erwähnt, der nur für staatliche Hochschulen Anwendung findet. Diese Vorschrift lautet vollständig:
1 Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erbringen wissenschaftliche Dienstleistungen, indem sie weisungsgebunden an der Aufgabenerfüllung der Hochschule, insbesondere in Wissenschaft, Forschung, Lehre und Weiterbildung mitwirken. 2 Ihnen kann auch die Vermittlung von Fachwissen, praktischen Fertigkeiten und wissenschaftlicher Methodik als wissenschaftliche Dienstleistung in der Lehre übertragen werden. 3 Einstellungsvoraussetzung ist im Regelfall ein abgeschlossenes Hochschulstudium.
Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das NHG nicht den Beruf der "wissenschaftlichen Mitarbeiter" regelt, sondern nur die Zugehörigkeit zu einer der Gruppen der Hochschule in Abgrenzung zu den anderen Beschäftigten und Lehrendengruppen an einer Hochschule in staatlicher Verantwortung. Schon für nichtstaatliche Hochschulen im Sinne des Zweiten Teils des NHG findet die Regelung keine Anwendung. Selbst bei staatlichen Hochschulen ist es auch nach Satz 3 – als Ausnahme von dem Regelfall – möglich, auch solche Personen als wissenschaftliche Mitarbeiterin einzustellen, die kein abgeschlossenes Hochschulstudium haben. Das NHG setzt damit auch nicht voraus, dass ein „wissenschaftlicher Mitarbeiter“ auch immer ein abgeschlossenes Hochschulstudium hat.
Beim Deutschen Bundestag werden Abgeordnetenmitarbeiter, die ein abgeschlossenes Studium absolviert haben, als „wissenschaftliche Mitarbeiter“ bezeichnet, obwohl sie in diesem Sinne keine wissenschaftliche Tätigkeit ausüben. Gesetzliche Regelungen darüber gibt es jedoch nicht. Mitarbeiter der Landtagsabgeordneten führen diese Bezeichnung in der Regel nicht.
Festzustellen bleibt, dass es keine berufsständische Vorschrift über die vorgenannte Berufs-bezeichnung gibt und diese damit auch nicht geschützt ist und auch das NHG ein Hochschul-studium nicht zwingend voraussetzt.
Es ist damit der Wahlbewerberin nicht von Rechts wegen verwehrt, ihren ausgeübten Beruf als „wissenschaftliche Mitarbeiterin“ zu bezeichnen.
zu 2. Möglicherweise könnte die Nennung dieser Berufsbezeichnung von Frau Mertz auf den Stimmzetteln bei Wahlberechtigten zu falschen Vorstellungen führen. Das Wahlergebnis würde in diesem Fall dann in unzulässiger Weise beeinflusst, wenn sich die Wählerinnen und Wähler von einer Berufsbezeichnung auf den Stimmzetteln, in der amtlichen Veröffentlichung, auf Werbebroschüren und Plakaten bei der Wahlentscheidung leiten lassen würden. Die Nennung des Berufes oder der Stellung auf den Stimmzetteln ist vorgeschrieben. Ein gewisser Effekt der Wahlwerbung kann dieser Angabe nicht abgesprochen werden. Es ist auch schwer abzuschätzen, ob der Begriff „wissenschaftliche Mitarbeiterin“ oder beispielsweise „Hausfrau“ ins-gesamt mehr Wählerstimmen einbringt. Dabei ist auch das Image der angegebenen Tätigkeit zu berücksichtigen.
Eine Beeinflussung einzelner Wählerinnen und Wähler ist demnach zumindest nicht auszuschließen, was Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben kann, zumindest sofern die Anzahl der Stimmen betroffen ist. Auf das Wahlergebnis bezüglich der Sitzverteilung hat die Berufs-bezeichnung in diesem Fall jedoch keine Auswirkung. Nähere Erläuterungen werden zum nächsten Punkt ausgeführt.
zu 3. Der behauptete Wahlmangel ist daraufhin zu prüfen, ob ohne ihn die konkrete Möglichkeit bestanden hätte, dass das Wahlergebnis wesentlich anders ausgefallen wäre. Die lediglich theoretische Möglichkeit eines anderen Ergebnisses reicht daher nicht aus. Im Übrigen muss die konkrete Möglichkeit eines wesentlich anderen als des verkündeten Wahlergebnisses als die spezielle und unmittelbare Folge des Wahlmangels erscheinen. Umgekehrt sind Wahlmängel immer dann unbeachtlich, wenn sie das Wahlergebnis nach der Lebenserfahrung nicht beeinflusst haben können oder wenn die Möglichkeit einer erheblichen Wahlergebnisbeeinflussung so entfernt ist, dass sie nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden kann
Ein Wahlfehler, der lediglich zu einem unrichtigen Stimmenergebnis führt, sich jedoch nicht auf die Sitzverteilung auswirkt, beeinflusst das Wahlergebnis nur unwesentlich. In diesen Fällen sind Wahleinsprüche unbegründet und damit zurückzuweisen. Frau Mertz hat im Wahlbereich 4 insgesamt 1.052 – und damit für die SPD die meisten – Stimmen erhalten und ist durch Personenwahl in den Kreistag eingezogen. Ebenfalls durch Personenwahl wurde in dem Wahlbereich für die SPD Wolfgang Merten mit 814 Stimmen gewählt. Die erste Ersatzperson nach Stimmenstärke ist Bernd Hein mit 804 Stimmen. Frau Mertz hätte demnach nur dann keinen Sitz im Kreistag erhalten, wenn auf sie mindestens 248 Stimmen weniger entfallen wären. Bei 247 Stimmen weniger wäre ein Losentscheid erforderlich gewesen.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung erscheint es ausgeschlossen, dass Frau Mertz bei Angabe einer anderen Berufsbezeichnung nahezu ein Viertel der Stimmenanzahl eingebüßt hätte.
Hinzu kommt, dass die umfangreiche Berichterstattung in der örtlichen Presse, auf die im Wahleinspruch auch verwiesen wird, Frau Mertz eher geschadet haben dürfte. Das verdeutlicht ein Vergleich mit der Kreiswahl 2011, die in der nachstehenden Tabelle dargestellt wird:
| Stimmen | Veränderung | |
2011 | 2016 | ||
Gültige Stimmen | 222.143 | 248.180 | + 11,7 % |
SPD | 77.617 | 74.673 | - 3,8 % |
SPD / WB 4 | 14.045 | 12.080 | - 14,0 % |
SPD / SG Ostheide | 5.852 | 4.867 | - 16,8 % |
Brigitte Mertz / WB 4 | 1.610 | 1.052 | - 34,7 % |
Brigitte Mertz / SG Ostheide | 1.377 | 830 | - 39,7 % |
Die Verluste von Frau Mertz sind mehr als doppelt so hoch wie die der SPD. Das gilt sowohl für die Stimmenzahl innerhalb des Wahlbereichs 4 als auch innerhalb der Samtgemeinde Ostheide. Ein derartiger Einbruch lässt sich aber gut durch die öffentliche Auseinandersetzung über die Angabe der Berufsbezeichnung in der örtlichen Presse durch Berichterstattung sowie mehrere Leserbriefe und darüber hinaus Beiträge in Diskussionsforen im Internet erklären.
Da die Angabe der Berufsbezeichnung in Zusammenhang mit der hierzu geführten Auseinandersetzung sicher nicht zu einer Verbesserung des Ergebnisses der Wahlbewerberin geführt hat, kann davon ausgegangen werden, dass die Angabe dieses Berufes das Wahlergebnis nur unwesentlich beeinflusst hat. Eine Änderung der Sitzverteilung hätte sich dadurch nicht ergeben.
Anhaltspunkte dafür, dass die Wahl nicht entsprechend dem NKWG oder der NKWO vorbereitet oder durchgeführt wurde, sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht geltend gemacht.
Die Prüfung hat also ergeben, dass unabhängig von der Bewertung der ersten beiden Voraussetzungen die dritte Voraussetzung für einen begründeten Wahleinspruch nicht vorliegt. Die Kreiswahlleitung schlägt daher vor, den Wahleinspruch als unbegründet zurückzuweisen.
Das Rechtsmittel gegen diese Wahlprüfungsentscheidung ist die Klage vor dem Verwaltungsgericht. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung zu erheben. Diese Entscheidung wird den Beteiligten, der Kommunalaufsicht und der Landeswahlleitung innerhalb von zwei Wochen nach der Entscheidung mit Begründung zugestellt.